Dokumentation - in: nd-online (17.11.2025) und junge Welt (18.11.2025) und weitere
IMI-Kongress: Presseberichte
von: 18. November 2025
Sehr gut besucht, inhaltlich dicht und mit buntem Rahmenprogramm fand am vergangenen Wochenende der Jahreskongress der Informationsstelle Militarisierung unter dem Titel „Militärrepublik? Verweigern!“ statt. Wir danken allen Beteiligten und Besucher*innen für die gelungene Veranstaltung und dokumentieren im Folgenden Presseberichte über den Kongress. Die Audio-Aufnahmen (Danke an das Freie Radio Wüste Welle) werden wir in den kommenden Tagen hier ebenfalls veröffentlichen.
IMI-Kongress: Gegen die neue Heimatfront
Friedensbewegung diskutiert in Tübingen über neue deutsche Kriegspolitik
Matthias Rude, 17.11.2025, nd-online.de.
An der Betonwand vor dem Kongress-Saal in Tübingen hängen Graffiti-Schablonen, darauf ist ausgestanzt: »Soldaten sind Mörder«, »Wehrdienst ist Zwangsarbeit«. Gegenüber erstrecken sich in einer langen Reihe Infostände friedenspolitischer, gewerkschaftlicher und linker Organisationen, Parteien und Zeitungen. Unter dem Motto »Militärrepublik? Verweigern!« haben am vergangenen Wochenende mehr als 150 Menschen in der Universitätsstadt lebhaft diskutiert, Flugblätter verteilt und Unterschriften gesammelt. Ausgerichtet hat den Kongress die Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI), die seit 1996 das Wiedererstarken des deutschen Militarismus analysiert und kritisch begleitet.
Für viele Friedensbewegte aus der ganzen Republik ist der Besuch des IMI-Kongresses ein alljährliches Ritual. Doch in diesem Jahr scheinen die Menschen besorgter als sonst. Der Umbau Deutschlands zur »Militärrepublik« sei im vollen Gange, hieß es in der Ankündigung – der Kongress wolle »Wege ausloten, diesen Prozess aufzuhalten«. Kurz vor Kongressbeginn wurde bekannt, dass die Regierungskoalition sich auf ein neues Wehrpflicht-Modell geeinigt hat.
Bereits im ersten Referat des Wochenendes machte IMI-Mitbegründer Tobias Pflüger deutlich: Da lässt sich nicht mehr viel aufhalten – man könne sich »der Militärrepublik nur noch verweigern«, so der frühere Europaabgeordnete und derzeitige Mitarbeiter eines Linke-MdB. Konkrete Praxistipps für die Kriegsdienstverweigerung gab es von Susanne Bödecker von der DFG-VK. Sie berichtete auch von ihrer Arbeit im Stuttgarter Büro der ältesten deutschen Friedensorganisation, wo sich wegen der drohenden Wehrpflicht immer mehr Eltern melden – in Sorge um ihre Söhne.
Praxisbeispiele zeigten, wie sich Widerstand formiert: Tram-Fahrer in München weigern sich, Fahrzeuge mit Bundeswehr-Werbung zu fahren; Initiativen wie »Sagt nein!« bringen Kriegsgegner im gewerkschaftlichen Bereich zusammen. Bündnisse wie »Rheinmetall entwaffnen« oder »Shut Elbit Down« blockieren Rüstungsbetriebe. Die Initiative »Orte der Aufrüstung«, vorgestellt von dem Aktivisten Tobi Rosswog, hat mittlerweile über 50 Orte kartiert, an denen zivile Betriebe oder Infrastruktur in Rüstungsproduktion oder militärische Nutzung überführt werden.
Zunehmend führt ein solcher Protest zu Kollisionen mit Unternehmen und Behörden. Fairouz Qasrawi vom Kollektiv »Decolonial Scholars« berichtete von einer »geschlossenen Architektur der Repression« gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung in München, bestehend aus einem ganzen Netzwerk zivilgesellschaftlicher Akteure und staatlicher Stellen. Räume für kritisches Denken und Debatten würden auf diese Weise systematisch geschlossen. Diese »Zensur mit Verwaltungsstempel« sei Teil eines größeren, gefährlichen Trends – hin zu einem Staat, der Grundrechte einschränkt, erklärt Qasrawi.
Mehrfach wurde auf dem Kongress auch der Fall eines Freiburger Schülers angeführt, dem eine Anklage droht, weil er sich im Internet über den Besuch eines Jugendoffiziers an seiner Schule lustig gemacht hatte. »Der Wind, der antimilitaristischen Kämpfern entgegenschlägt, wird rauer«, so Claudia Haydt von der IMI.
Besonders intensiv diskutiert wurde der »Operationsplan Deutschland«, ein knapp 1400 Seiten umfassendes, als geheim eingestuftes Konzept. Nach allem, was bisher bekannt ist, strebt das Militär mit diesem Plan bereits vor dem Eintreten eines sogenannten Spannungs- oder Verteidigungsfalls Zugriff auf zivile Infrastruktur an. Außerdem sei durchgesickert, dass bereits sehr spezifische Pläne vorlägen – beispielsweise zur Frage, wie mit russischen Kriegsgefangenen verfahren werden soll. Der Mythos von der »Parlamentsarmee« lasse sich mit dem »Operationsplan« endgültig zu den Akten legen: Kein Parlamentarier darf Einsicht nehmen.
Während Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall die industrielle Seite des Militarismus verkörpern, findet dieser – subtil und popkulturell kodiert – längst auch im Alltagsbewusstsein statt, wie der Content Creator Simon David Dressler erläuterte. Formate wie die Webserie »Explorers« oder Kooperationen mit Influencern inszenierten das Soldatenleben als Abenteuer und »großen Spaß«. Dressler kritisierte auch die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen: Antimilitaristische Stimmen würden in Talkshows als Feigenblatt präsentiert und gleichzeitig als randständige Meinung dargestellt – obwohl eine Antikriegshaltung eigentlich eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hätte.
Die IMI-Tagung, die vom lokalen freien Radio live übertragen wurde und deren Beiträge in Kürze zum Nachhören verfügbar sein werden, machte deutlich: Die Bundesrepublik bereitet sich immer schneller auf einen neuen großen Krieg vor. »All das wirkt und liest sich wie ein dezidierter Zeitplan«, erläuterte der Abgeordnetenmitarbeiter Daniel Lücking, der als Soldat selbst Auslandseinsätze im Kosovo und in Afghanistan absolvierte und als Offizier die Bundeswehr verließ.Massenhafte Proteste dagegen lassen noch auf sich warten. Was nötig wäre, um dem deutschen Militarismus endgültig den Nährboden zu entziehen, daran ließ die Vertreterin von »Sagt nein!« beim Abschlusspodium keinen Zweifel: »Revolution ist großartig, alles andere ist Quark«, zitierte sie Rosa Luxemburg.
Kollektive Verweigerung
Tübingen: IMI-Kongress thematisiert Aufrüstung, Sozialabbau, Repression und Widerstand
Matthias Rude, junge Welt vom 18.11.2025
Der diesjährige Kongress der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) stand unter dem Eindruck einer Republik im Übergang zum Krieg. Unter dem Motto »Militärrepublik? Verweigern!« trafen sich am vergangenen Wochenende rund 150 Antimilitaristen in der Universitätsstadt, um die verbliebenen Möglichkeiten zu diskutieren, sich der Aufrüstung entgegenzustellen. Denn wirtschaftlich, politisch und kulturell befindet sich das Land längst in einer Phase der Kriegsvorbereitung, wie der Kongress deutlich machte.
So wird etwa im Bereich der automobilen Wertschöpfungsketten eine sogenannte Rückwärtskonversion vorangetrieben. Die Gewerkschafterin Antje Blöcker beschrieb diese exemplarisch an Salzgitter als »VW-Region«. Das Projekt »Orte der Aufrüstung« hat inzwischen bundesweit über 50 Standorte erfasst, an denen zivile Betriebe in militärische Nutzung überführt werden.
Ein Schwerpunkt des Kongresses war der »Operationsplan Deutschland«, ein 1.400 Seiten umfassendes, als geheim eingestuftes Konzept, das tief in den zivilen Bereich hineinreicht. Nach dem bislang Bekannten soll die Bundeswehr bereits vor einem offiziellen Spannungs- oder Verteidigungsfall Zugriff auf kritische Infrastruktur erhalten – ein Paradigmenwechsel, der die Trennung zwischen militärischem und zivilem Zuständigkeitsbereich faktisch aufhebt. Kliniken und Blaulichtorganisationen werden Teil der militärischen Logistik. Der »Operationsplan«, der sich jeglicher parlamentarischer Kontrolle entzieht, zeigt sich als ein Schritt hin zur Durchmilitarisierung der gesamten Gesellschaft. Offenbar behandeln die Pläne bereits sehr spezifische Fragen: »Da gibt es tatsächlich Teile, in denen ausdifferenziert wird, was mit russischen Kriegsgefangenen gemacht wird«, so Martin Kirsch.
Immer mehr Geld fließt ins Militär, während beim Sozialen gekürzt wird. Claudia Haydt von der IMI zeigte in ihrem Vortrag, wie eng Rüstung und Sozialabbau auch auf kommunaler Ebene zusammenhängen: Während die Aufrüstung ungebremst voranschreitet, sind Städte und Gemeinden strukturell unterfinanziert, mit Investitionsrückständen von 216 Milliarden Euro. Die Bundeswehr zahlt keine Grund- oder Gewerbesteuer, profitiert aber von kommunaler Infrastruktur. Krankenhäuser, die ohnehin schon am Limit arbeiten, würden inzwischen für eine umgekehrte Triage vorbereitet. So würden die Kommunen »gezielt in massive Spannungen getrieben«.
Wie ein roter Faden zog sich der Rechts- und Repressionsdiskurs durch den Kongress. Der Berliner Jurist Benjamin Düsberg skizzierte einen beim Bundesgeneralanwalt eingereichten Strafantrag gegen deutsche Politiker und Rüstungsvertreter. Der Vorwurf: Beihilfe zum israelischen Genozid an den Palästinensern. Fairouz Qasrawi dokumentierte die »geschlossene Architektur der Repression« zivilgesellschaftlicher und staatlicher Akteure gegen Palästina-Solidarität exemplarisch anhand der Stadt München. Auch die zunehmenden Angriffe auf die Meinungsfreiheit waren Thema: Äußerungsdelikte würden inzwischen »mit einem McCarthyismus in einem Ausmaß, das man nicht mehr für möglich gehalten hätte, verfolgt«, so Düsberg.
Am Ende stand die Frage nach der Praxis: Wie verweigern? Die Antworten waren konkret. Die DFG-VK informierte über die rechtlichen Modalitäten der Kriegsdienstverweigerung. Initiativen wie »Rheinmetall entwaffnen«, »Shut Elbit Down« oder das Medienprojekt »Jugendinfo« zeigten, wie sich Widerstand organisieren lässt. Der linke Social-Media-»Influencer« Simon David Dressler berichtete von seinen Erfahrungen als antimilitaristisches »Feigenblatt« in deutschen Talkshows.
Der Kongress war analytisch, hart in der Diagnose und handlungsorientiert. Die zentralen Botschaften: Verweigerung ist keine individuelle Entscheidung, sondern muss kollektive Praxis werden. Wer sich der Militarisierung entgegenstellen will, muss sie als Klassenfrage begreifen. Im Kriegsfall wird die Bundesrepublik zur Drehscheibe und zum Durchmarschgebiet von NATO-Truppen nach Osten – und wer dann Sand im Getriebe sein will, muss sich jetzt gut vorbereiten.
Radio Z (Nürnberg): Interviews beim IMI Kongress 2025 „Militärrepublik? Verweigern!“ mit Jürgen Wagner, Tobi Rosswog und Reza Schwarz
Audiobeitrag, gesendet am 18.11.2025 im tagesaktuellen Magazin für Politik und Kultur „Stoffwechsel“ beim freien „Radio Z“ in Nürnberg. Dauerhaft verfügbar auf dem Audioportal der Freien Radios
Interviews von Radio Z-Sendungsmachenden (Redaktionen: Stoffwechsel und Radio Revolution Nürnberg) mit Jürgen Wagner (Geschäftsführer der Informationsstelle Militarisierung), Tobi Rosswog (Autor, Aktivist und Speaker) und Reza Schwarz (Informationsstelle Militarisierung) beim diesjährigen Kongress der Informationsstelle Militarisierung 2025 am 15. & 16.11. in Tübingen. Warum trägt der Kongress den Titel „Militärrepublik? Verweigern!“, was macht eine Militärrepublik überhaupt aus, wie kann kreativer Widerstand gegen diese aussehen und was hat es eigentlich mit dem angeblich freiwilligen, neuen „Wehrdienst“ auf sich? Einen Überblick zu Antworten auf diese Fragen, findet ihr innerhalb dieses dreiteiligen Interviews, welches am 18.11.2025 im tagesaktuellen Magazin für Politik und Kultur „Stoffwechsel“ bei Radio Z in Nürnberg ausgestrahlt wurde.
IMI-Kongress: Aufbruch in Richtung neue Friedensbewegung
Rote Fahne News, 19.11.2025
Der sehr gute, auch von vielen Jüngeren besuchte Kongress war up to date und ging auf die Fragen ein, die die Menschen in diesem Land beschäftigen: klare Analyse schon durch die drei Eingangsreferate. Tobias Pflüger analysierte die Entwicklung der Umstellung des Bundeshaushalts auf Kriegswirtschaft mit den vielfältigsten Folgen für Arbeiterinnen und Arbeiter, die Sozialpolitik, Gesundheitspolitik und die verschärfte gesamte Rechtsentwicklung. Er schlussfolgerte: Da ist keinerlei Möglichkeit und Spielraum für Mitwirkung, das entspricht einer imperialen Großmacht- und Kriegspolitik. Und gegen die muss gekämpft werden. Für ihn sei klar, dass er nie auf der Seite irgendeiner imperialen Macht stehe.
Claudia Haydt untersuchte in ihrem Beitrag „Die Aufrüstung und die Kommunen“ die Auswirkungen der Umstellung auf Kriegsvorbereitungspolitik auf die Kommunalpolitik, aufs Gesundheitswesen und, besonders wichtig außer den Angriffen auf das gesamte Sozialwesen, auch die damit einhergehende politische Unterdrückung jeglichen Widerstands. So sind Liegenschaften der Bundeswehr in den Kommunen jetzt schon unter der direkten Führung der Bundeswehrführung außerhalb jeglicher demokratischer Kontrolle. Der Widerstand gegen irgendwelche militärische Nutzung wird sofort kriminalisiert.
Wendela de Vries aus den Niederlanden berichtete sehr anschaulich in ihrem Beitrag „Stop reArm Europe“ von den bedeutsamen Streiks der Hafenarbeiter in Italien, Griechenland und auch in Holland. Sie wandte sich ausdrücklich auch gegen eine EU-Militärmacht, egal unter welcher Führungsmacht. Sie sprach sich für eine europaweite Gegenoffensive der Kriegsgegner, Arbeiter und der Jugend aus. Mit ihrem Beitrag, der nicht so sehr auf Zahlen basierte, brachte sie eine ganz aufmunternde Stimmung in diese Konferenz ein.
In einem anschließendem Gespräch berichtete sie von kämpfenden Hafenarbeitern, die sie selbst kennt, deren Gewerkschaften und auch revolutionäre Organisationen, die diesen Kampf mit vollem Herzen unterstützen.
Ein weiteres Highlight war der Vortrag von Benjamin Düsberg, Jahrgang 1980, Strafverteidiger aus Berlin. Er stellte wie mehrere Kanzleien Strafanzeige gegen die Bundesregierung. Im Gespräch mit ihm war er sehr interessiert an der Zusammenarbeit mit anderen Kanzleien, die auch Strafanzeigen gestellt haben, und versteht sich als aktiver Teil einer kämpferischen Friedensbewegung, die die Regierung eines imperialistischen Staates direkt ins Visier nimmt. Außerdem ist er ein juristischer Kämpfer gegen Abschiebungen und gegen den Abbau demokratischer Rechte.
Sehr interessiert zeigte er sich gegenüber dem Projekt „Gaza soll leben“ mit dem Aufbau eines Gesundheitszentrums. Der erfolgreiche Aufbau des Krankenhauses in Kobanê beeindruckt ihn sehr, da er selbst eine Zeit lang in Syrien arbeitete. Im Mai 24 wurde er selbst bei einer Palästina-Solidaritätsaktion an der Berliner Humboldt-Uni in seiner Funktion als Strafverteidiger zunächst ohne Tatvorwurf von der Polizei festgenommen.
Am Sonntag gab es dann einen Vortrag des strikt antimilitaristischen Influenzers Simon David Dressler, Jahrgang 1999, mit zu Beginn über 120.000 Followern bei TikTok. Nach einem Studentenjob bei der CDU in Sachen Social Media, drehte er eigene Videos, zunächst gegen die CDU. Er wurde durch den nicht erwarteten Erfolg seiner Videos immer mehr links geprägt und zeigte bzw. analysierte, wie die Bundeswehr bei TikTok auftritt, geschickt ansetzt bei einer gewissen Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit der Jugendlichen, Abenteuerlust und Kameradschaft vermittelt, um sie nebenbei für den Kampf um „sein Vaterland“ zu beeinflussen. Sie suggeriert so: Das sei gut und ganz normal.
Er zeigt sich medial u. a. als Aktivist gegen die Wehrpflicht, wird ab und an in das öffentlich-rechtliche Fernsehen, z. B. in die „Königsrunde“, eingeladen und sieht durchaus selbstkritisch, dass er als „Feigenblatt“ benutzt wird. Es sei für ihn ein wichtiger Schritt, bei diesem Kongress hier dabei sein zu dürfen und Teil von dieser real so wichtigen Bewegung zu werden. Insofern war dieser IMI-Kongress eine sehr beeindruckende Veranstaltung mit vielen sehr interessanten jungen Aktivistinnen und Aktivisten unterschiedlichster Art, die offen mit der europäischen Arbeiterbewegung gegen den Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus mit einer irgendwie auch klar sozialistischen Zukunft sympathisieren und zum Teil sehr mutige Aktionen durchführen, wie gegen den israelischen Drohnenhersteller Elbit in Ulm oder gegen Rheinmetall.
Ein von den Themen her sehr vielfältiger und vorwärtstreibender Kongress ging mit toller Stimmung und sehr solidarischer Streitkultur in der Mensa der Gymnasien direkt am Neckarufer zu Ende. In der örtlichen Presse kam einen Tag zuvor eine Umfrage unter diesen Gymnasiasten zur Wehrpflicht zum Ergebnis, dass keiner der Schüler den Wehrdienst akzeptiere.
Kritische Diskussion
Miri Watson, Schwäbisches Tagblatt vom 20.11.2025
Auf dem Kongress der Informationsstelle Militarisierung ging es darum, wie militärische Prioritäten Kommunen finanziell belasten und Investitionen beeinflussen.
Vor knapp drei Wochen wurde bekannt, dass auch zwei Tübinger Flächen auf einer Liste der Bundeswehr sind, deren Umwandlung von militärischer zu ziviler Nutzung nun doch gestoppt wird: das ehemalige Munitionslager Schindhau und der sich östlich unmittelbar daran anschließende einstige Standort-Übungsplatz Wankheim.
Kein Grund zur Sorge, sagte Manuel Rongen, der im Schindhau seinen Natursteinpark betreibt. Bei der für Liegenschaften zuständigen Bonner Bundesanstalt für Immobilienaufgaben habe man ihm versichert: Das Areal im Schindhau sei groß genug, um gegebenenfalls um den Steinpark herumzuplanen, falls die Bundeswehr das Gebiet nutzen wolle.
Andernorts wirkt sich der Stopp der Umwandlung von militärischen zu zivilen Zwecken deutlich dramatischer aus: Die Stadt Ellwangen muss Pläne für ein Wohnareal für etwa 1800 Menschen auf Eis legen, die Stadt Heidelberg sogar die Neuentwicklung eines Quartiers, in dem 10.000 Menschen Platz gefunden hätten. Für Kommunen seien geplatzte Pläne durch das Aussetzen der Umwandlung zur zivilen Nutzung nur eines von mehreren Problemen, das die jüngsten Bemühungen im Bereich der Sicherheitspolitik mit sich brächten. So zumindest erklärte es die Tübinger Soziologin Claudia Haydt (aktiv in der Europäischen Linkspartei) beim Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in der Mensa Uhlandstraße am vergangenen Wochenende. Dort waren über zwei Tage knapp 200 Menschen, hauptsächlich aus der Friedensbewegung, zusammengekommen, um unter dem Titel „Militärrepublik? Verweigern!“ zu diskutieren.
Haydts These bei dem Kongress: „Der Bund hat seine politischen Prioritäten so gesetzt, dass bei den Kommunen nichts mehr ankommt.“ Diese seien strukturell unterfinanziert; der neue Fokus auf Sicherheitspolitik verstetige diese Unterfinanzierung noch. Gleichzeitig sende die Politik mit ihrer Prioritätensetzung auch Signale an die Wirtschaft, lieber in Rüstung als beispielsweise in klimafreundliche Technologien zu investieren. Dass etwa Porsche quasi gleichzeitig mit der Aufgabe seiner Tochter Cellforce in Kirchentellinsfurt – und der damit einhergehenden Kündigung von 200 Mitarbeitenden – bekannt gegeben habe, künftig mehr in Rüstung zu investieren, sei ein Beispiel für diese Entwicklung.
Ob man mit Haydts Analyse mitgeht oder nicht: Fakt ist, dass sich die militärpolitischen Bestrebungen auch auf kommunaler Ebene zeigen werden. Wohl nicht im Natursteinpark, aber an anderer Stelle. Dass beim IMI-Kongress diese Entwicklungen kritisch diskutiert wurden, ist gut und wichtig.
